Kulturwandel bei Menschen mit Diabetes nötig – telemedizinische Zentren ein Kernbestandteil

Dr. med. Hansjörg Mühlen ist Internist, Allgemeinmediziner und Diabetologe. Seine Praxis betreibt er seit 20 Jahren – als Diabetes-Schwerpunktpraxis in Ruhrort im Bereich der KV Nordrhein; zwei weitere Standorte haben eine hausärztliche Ausrichtung. Insgesamt sechs Ärzte, mehrere DiabetesberaterInnen, ErnährungsberaterInnen, WundmanagerInnen und Medizinische Fachangestellte betreuen rund 2.500 Menschen mit Diabetes pro Quartal. Rund 700 von ihnen leiden an Typ 1, die anderen an Typ 2; ihr Alter liegt zwischen zwei und 90 Jahren. Etwa 95 Prozent von ihnen sind gesetzlich Versicherte aus der Umgebung. Der Digitalisierung und der Diabetes-Technologie gilt die besondere Aufmerksamkeit des engagierten Arztes – und ganz besonders dem Programm TeLiPro und der Zertifizierung als Telemedizinisches Zentrum.

„Digitalisierung und Telemedizin fand ich schon immer spannend“, so Dr. Mühlen. Inzwischen konnte er drei Jahre Erfahrung in telemedizinischen Projekten sammeln. „Das DITG habe ich vor drei Jahren kennen und schätzen gelernt; seine Aktivitäten erschienen mir langlebig und nachhaltig.“ Der Arzt nahm Kontakt mit Bernd Altpeter auf; damals ging es um ein Adipositas-Telemedizin-Programm. „Der Ansatz ist ähnlich – egal ob es sich um Adipositas oder Diabetes handelt … das passte“, sagt Dr. Mühlen. Seine fortschrittliche Praxis bietet auch Videosprechstunden an – „denn wichtig sind die Daten und das Gespräch, nicht das persönliche Erscheinen des Patienten!“.

Nachhaltige Konzepte gibt es in der Gesundheitsversorgung so gut wie nicht, beklagt Dr. Mühlen. Er stellt fest: „Die Kassen haben Geld, aber geben nichts aus … Im Gegenteil: sie tun immer so, als stünden sie kurz vor der Insolvenz. Dabei verfügen sie über Milliardenbeträge als Überschuss … leider geht das Geld oft nicht in die Patientenversorgung.“

Die Praxis ist auch ein Vorreiter, sich als telemedizinisches Zentrum zu zertifizieren. „Eine Anreisezeit von 50 Kilometern und mehr wird von Patienten nicht mehr akzeptiert – weder von Patienten noch von Arbeitgebern, deshalb müssen wir telemedizinische Angebote verstärkt einsetzen,“ betont der Mediziner.

TeLiPro – ein positives Beispiel für nachhaltige Therapiekonzepte

Das AOK Innovationsfonds-Projekt läuft seit 1. September – in Nordrhein-Westfalen und Hamburg. Termine mit Diabetesassistenten und 12 Praxen zur Umsetzung sind geplant.

Im Vorstand des Bundesverbandes Niedergelassenen Diabetologen (BVND) – mit seinen über 700 Mitgliedern und ca. 1.200 Schwerpunktpraxen – engagiert sich Dr. Mühlen berufspolitisch seit sechs Jahren: „17 KVen und Bundesländer arbeiten mit jeweils ca. 120 Krankenkassen an diversen Lösungen … besser wäre eine Zusammenarbeit, die zu einer tragfähigen gemeinsamen Lösung für alle führt“. Eine wirklich bundesweit orientierte Vertretung fehlt bislang.

„Wir haben Verträge ausgehandelt zwischen dem BVND und dem DITG – über die Fortbildung für Ärzte und Berater, ich hatte dabei eine Doppelrolle: zum einen als Praxisinhaber und Teilnehmer, zum anderen als Vorstandsmitglied mit Schnittstelle zu den beiden Organisationen. Wir bereiten uns als Verband intensiv darauf vor, diese telemedizinischen Zentren in die Breite zu bringen, und bieten ab dem nächsten Jahr entsprechende Ausbildungen für Ärzte und Diabetes-BeraterInnen und -Assistenten bzw. DiätberaterInnen an.“

Die Herangehensweise

„Zur Rekrutierung haben wir Patienten angesprochen“, erinnert sich der Arzt. „Die meisten von ihnen sind positiv eingestellt, fühlen sich eingebunden und haben sich zum Mitmachen entschieden. Aber für einige passt der Ansatz nicht … und natürlich muss man bei solchen Projekten die Individualität berücksichtigen. So benötige der eine ein Coaching einmal wöchentlich, der nächste nur einmal im Monat, der dritte halbjährlich“.

„Chroniker benötigen als Therapie einfach mehr als eine OP und eine kurze Anschlussbehandlung. Das muss den Kassen klar werden … und bei den neuen, umfassenden Ansätzen sind die DiabetesberaterInnen gefordert. So schaffen sie Bindung durch Emotionen, durch das Eingehen auf die Patienten. Nur auf diese Weise führt Coaching zum Erfolg. Ein Kulturwandel, eine Verhaltensänderung ist bei den Patienten erforderlich. Nicht nur Behandlung und Schulung sind notwendig, sondern Training. Das bieten die Coaches, ähnlich wie im Leistungssport. Kein Fußballer oder Olympionike schafft seinen Weg allein, er braucht lebenslanges Training… dies gilt auch für Menschen mit Diabetes. Viele meiner Kollegen denken ebenfalls so.“

Generelle Eignung für Chroniker

Chronische Krankheiten eignen sich generell gut für die TeLiPro-Kombination telemedizinischer Geräte mit Coaching, betont Dr. Mühlen. „So ist Adipositas ein komplexes Thema mit Suchtaspekten. Pülverchen greifen nicht, und die Erkrankung verschlingt enorme Budgets weltweit. Coaching-Programme bringen hingegen nachhaltig Effekte über eine Verhaltensänderung.“

Sinnvoll wären beispielsweise auch Präventionsmaßnahmen bei jüngeren Patienten; Kassen, sagt der Arzt, sehen das allerdings nicht ein. Die Diversifizierung in der Kostenträgerschaft verhindert nachhaltige Konzepte. „Telemedizin bringt bessere Outcomes und ermöglicht Prozessoptimierung sowie Steigerung der Arbeitseffizienz auf Seiten der Leistungserbringer … und das funktioniert.“

„Verschließen Sie sich nicht der Digitalisierung“, so Dr. Mühlens Botschaft an die Kollegen, „sondern begleiten und beeinflussen Sie diese Transformation.“. Man sollte die neuen Medien nutzen – für sich selbst und zum Vorteil der Patienten und Gesellschaft. „Wer hier nicht mitmacht, steht am Ende leer da, weil keine Patienten mehr kommen!“